November 2003:

 

 

Wilhelm Hauffs Märchen "Das kalte Herz" hat Walter Landin neu erzählt. Mit der Musik von Kaikai ist der Text, gesprochen von dem Schauspieler Berthold Toetzke, auf einer CD als Hörbuch {plus] erschienen. Die Musik stammt von Jochen Eßrich. Produziert wurde das Ganze von Klaus Nagel. Die CD ist im vineta Musikverlag Mannheim veröffentlicht worden, ISBN: 3-927303-04-6, Bezug über den Buchhandel oder direkt über mich.

 

www.kaikai-music.de

www.trend-records.com

 

 

 

Hier der Text:

I

„Verkaufe Seele an Höchstbietenden. Angebote unter www.ebay.de.“

Es ist die alte Geschichte. Da verkauft einer seine Seele. Aus Geldgier? Weil er Macht haben will? Oder Reichtum? Oder beides. Oder einfach aus Koketterie die Seele verkaufen. Oder das Herz. Es geht um das Herz. Tausche Herz gegen Stein. Kälte gegen Wärme. Geld gegen Gefühle. Es ist die alte Geschichte.

 

Der sie erzählt, wurde nicht alt. 1827 starb Wilhelm Hauff, 24 Jahre alt, in Stuttgart. Der „Märchenalmanach für das Jahr 1828“ war noch nicht erschienen, noch kannte niemand die Geschichten aus dem „Wirtshaus im Spessart“. „Das kalte Herz“ war noch nicht gedruckt.

 

II

Da ist einer nicht zufrieden mit seinem Stand. Wie der Sohn des Getränkehändlers. Kisten schleppen, tagein, tagaus, volle und leere, Zwölferkisten und Zwanzigerkisten, Sektkartons und Weinkisten, Saftkästen und Bierkästen, Mineralwasserkästen, ab und zu Glasbruch als einzige Abwechslung. Kästen aufladen, Kästen abladen, Riesen-LKWs entladen, Kleinlaster beladen, tagein, tagaus. Immer der gleiche Trott. Ist eine Ladung ausgeladen, im Lager verstaut, wartet schon die nächste. Tagein. Tagaus. Und der Sohn des Getränkehändlers träumt davon, ein erfolgreicher Rechtsanwalt zu sein, morgens erst um halb zehn aus dem Haus, von der Sekretärin die Unterschriftenmappe vorlegen lassen, ein ausgiebiges Mittagessen beim Italiener, nachmittags ein Gerichtstermin, mit links boxt er seinen Mandanten frei. Der Sohn des Getränkehändlers träumt. Er träumt davon, ein erfolgreicher Rechtsanwalt zu sein.

 

III

 

Der Schwarzwald. Wo früher die Glasmacher und Flößer zu Hause waren. Der Schwarzwald, wo die Menschen größer sein sollen als gewöhnliche Menschen, wie Wilhelm Hauff erzählt. Kein Augenzwinkern, keine Ironie und sei sie noch so sehr versteckt. Hauff meint es ernst. Der Schwarzwald, wo sie einen freieren Atem und einen festeren Mut als die Bewohner der Ebenen und Stromtäler haben sollen. Der Schwarzwald, der an manchen Stellen so eng und bedrückend wirkt, zumindest für unsereinen, der in den Ebenen verwurzelt ist. Der Schwarzwald, wo die Bewohner früher an Waldgeister geglaubt haben sollen. Jetzt ein Augenzwinkern? Die Andeutung eines Augenzwinkerns? Aber warum eigentlich? Fast möchte ich vermuten, dass die Menschen des Schwarzwaldes in ihrer Abgeschiedenheit auf einsamen Gehöften noch heute Erscheinungen haben, das zweite Gesicht sehen. Zumindest stelle ich mir das vor als einer, der in den Ebenen verwurzelt ist.

 

Da ist das kleine, gutmütige Glasmännlein mit dem spitzen, großrandigen Hütlein, mit Wams und Pluderhosen und roten Stümpfen.

Und der Holländer-Michel, ein riesengroßer, breitschultriger Kerl in der Kleidung der Flößer. Mit diesen beiden Waldgeistern soll Peter Munk, ein junger Schwarzwälder, eine sonderbare Geschichte erlebt haben.

 

Wilhelm Hauff erzählt sie und wird das fertige Buch nie in Händen halten.


 

IV

 

Da ist einer nicht zufrieden mit seinem Stand. Wir kennen das. Tag für Tag ins Büro, in die Fabrik, in die Schule, in die Praxis, Tag für Tag der gleiche Trott. Oder tagein, tagaus das Holz aufschichten, am rauchenden Meiler sitzen, schwarz und verrußt den Leuten die Kohlen in die Stadt fahren. Ein beschissenes Leben, sagt sich Peter Munk. Beschissen, das hätte Hauff seinem Peter nie in den Mund gelegt. Höchstens bescheiden, vielleicht noch armselig.

 

Sein Vater stirbt, als Peter gerade mal 16 ist, er übernimmt ohne zu murren das Geschäft. Aber er ist unzufrieden. Wir kennen das. Tag für Tag. Er träumt davon ein Glasmacher zu sein. Oder ein Uhrmacher. Oder ein Flößer.

 

Peter Munk träumt. Er träumt so zu sein wie der dicke Ezechiel, der zweimal im Jahr in Amsterdam das Holz viel teurer verkauft als alle seine Konkurrenten. Der dicke Ezechiel, der immer die Taschen voller Geld hat, der im Kartenspielen kaum zu schlagen ist.

 

Peter Munk träumt. Er träumt vom Tanzbodenkönig, ein schlanker, junger Mann, stattlich, sagt Hauff, stattlich, so beschrieb meine Urgroßmutter immer Männer, die sie für stattlich hielt, ich konnte mit stattlich nie was anfangen. Der Tanzbodenkönig, der wie ein Gott tanzt und Goldstücke vom Nibelungenschatz aus dem Rhein gefischt haben soll. So erzählen die Leute. So erzählt es Wilhelm Hauff. Jemand, der viel Geld hat, muss einen Schatz gefunden haben, dass es gerade der Nibelungenschatz sein muss, nehme ich verwundert zur Kenntnis.

Würde Peter Munk seinen Kopf ein klein wenig zum Nachdenken benutzen und nicht erstarren in blinder Bewunderung, ihm hätte auffallen müssen, dass der dicke Ezechiel und der Tanzbodenkönig sich in einem Wesenszug sehr ähneln: Beide sind wegen ihres Geizes bei allen Leuten verhasst. Aber so weit denkt Peter Munk nicht, so weit sieht er nicht. Er sieht nur, was er sehen will, nimmt nur wahr, was in sein Bild passt. Er ergeht sich in Selbstmitleid, er jammert über sein schweres Los.

So kann es nicht weitergehen, sagt der Sohn des Köhlers, der jetzt selbst Köhler ist, der mit seinem Leben unzufrieden ist. Der träumt von einem anderen, einem besseren Leben. Wie der Sohn des Getränkehändlers. Wir erinnern uns.


 

V

 

Mitten im Wald. Auf der allerhöchsten Höhe des Schwarzwaldes. Der Tannenbühl. Kein Haus weit und breit. Nicht einmal eine armselige Hütte. Prachtvolle Tannen, die niemand fällt. Und wer es versucht, dem springt die Axt vom Stiel. Oder dem fährt das Eisen in den Fuß, wie die abergläubischen Schwarzwälder erzählen, wie Wilhelm Hauff es erzählt.

 

Der Tannenbühl. Wo es am hellen Tag beinahe Nacht ist, weil die Tannen so dicht und so hoch stehen. Peter zieht den Hals ein, er hat Angst, zumindest ein klein wenig. Schließlich soll das Glasmännlein demjenigen erscheinen, der den richtigen Spruch aufsagen kann. Peter Munk erreicht den höchsten Punkt des Tannenbühls, er steht vor einer mächtigen Tanne, er sagt sein Sprüchlein auf.

Bis er endlich auf die letzte Zeile gekommen ist, ein Drama! Was reimt sich auf stehen? Am liebsten hätte ich ihm die letzte Zeile ins Ohr geflüstert.

 

„Schatzhauser im grünen Tannenwald,

bist schon viele hundert Jahre alt,

dir gehört all das Land, wo Tannen stehen,

lässt dich nur Sonntagskindern sehen.“

 

Denn ein Sonntagskind ist Peter zufällig wirklich, dafür hat Hauff gesorgt, Punkt zwölf Uhr an einem Sonntag geboren.

 

Peter sagt seinen Spruch auf und, wie könnte es anders sein, lässt Hauff doch tatsächlich das Glasmännlein erscheinen.


 

VI

 

Drei Wünsche hat der Munk-Peter frei, drei Wünsche, das haben wir schon öfters gehört, drei Wünsche für den unzufriedenen Köhler.

„Wünsch dir aber etwas Nützliches und Gutes“, warnt das Glasmännlein.

Peter wünscht sich, besser tanzen zu können als der Tanzbodenkönig und immer so viel Geld in der Tasche zu haben wie der dicke Ezechiel. Was aber, nachdenken, Peter, wenn der dicke Ezechiel mal kein Geld mehr in der Tasche hat, weil es ihm ein anderer, nachdenken, Peter, nachdenken, aus der Tasche gezogen hat, ein noch besserer Kartenspieler?

Würde Peter seinen Kopf ein klein wenig zum Nachdenken benutzen... Peters Tanzwunsch kann ich als notorischer Nichttänzer gut verstehen. Hätte ich drei Wünsche frei, auch ich wünschte mir, ein toller Tänzer zu sein.

 

„Welch erbärmlicher Wunsch“, schimpft das Glasmännlein.

Vielleicht fehlte ihm schlicht und einfach das Einfühlungsvermögen.

 

Zum Zweiten wünscht sich Peter die schönste und reichste Glashütte im ganzen Schwarzwald. Das Glasmännlein ist mit diesem zweiten Wunsch Peters ein wenig versöhnt und gibt ihm zweitausend Gulden und den Tipp, dass vor drei Tagen der Besitzer einer großen Glashütte gestorben sei. Eine Glashütte mit allem Drum und Dran, einige Millionen Euro wären da heute locker fällig. Gesunden Menschenverstand und Einsicht, meint das Glasmännlein, das hätte der Munk-Peter sich wünschen sollen.

„Aber das kann ich doch im dritten Wunsch!“, schlägt Peter vor.

Doch das Glasmännlein denkt weiter und empfiehlt dem Peter, sich diesen Wunsch für Notzeiten aufzuheben.

 

Klug gedacht, Glasmännlein, vorausschauend geplant, Wilhelm Hauff, wie sich später noch zeigen wird.


 

VII

 

Peter kauft die Glashütte, die zweitausend Gulden reichen anscheinend. Am Anfang gefällt ihm sein neuer Job, jeden Tag ist er in seiner Glashütte, beaufsichtigt die Gesellen, kümmert sich um den Vertrieb, kurz, er hat die Fäden in der Hand.

 

Hier hätte die Geschichte ein schönes Ende finden, hier hätte Wilhelm Hauff aufhören können. Aber das kalte Herz, das fehlt noch. Also muss er weiterschreiben, bis zum Happyend ist es noch eine weite Reise. Und Peter ist erst ganz am Anfang.

 

Die Begeisterung für die neue Aufgabe lässt bald nach. Um so begeisterter geht Peter ins Wirtshaus. Dem Tanzbodenkönig läuft Peter schnell den Rang ab, wird der Tanzkaiser. Kein Wunder, schließlich hat Peter sich das ja gewünscht. Und auch dem dicken Ezechiel bietet er beim Kartenspielen Paroli. Tanzkaiser, Spielepeter, was spielt es da für eine Rolle, dass Peter Unsummen verliert. Seine Tasche ist immer so voll gefüllt wie die Tasche des dicken Ezechiel, so wie er es sich gewünscht hat.

 

In seiner Glashütte lässt sich Peter immer weniger sehen, die Gesellen machen, was sie wollen, es wird planlos produziert, keinerlei Innovationen, am Markt vorbei, der Verkauf stagniert, die Glashütte geht langsam aber sicher den Bach runter. Fehlplanung. Missmanagement, mehr als eine kurze Meldung auf der Wirtschaftsseite würde das heute nicht bringen. Für einen Apfel und ein Ei muss Peter das kostbare Glas verkaufen. Unter den Produktionskosten. Es kümmert ihn nicht, dass der Schuldenberg anwächst. Heute würde die Bank den Überziehungskredit sperren. Die Insolvenz wäre unvermeidlich.

 

Aber das konnte Wilhelm Hauff nicht wissen.


 

VIII

 

Kartenspielen und Tanzen. Tanzen und Kartenspielen. Noch hat Peter Geld in der Tasche. So viel wie der dicke Ezechiel. Und Peter wurde immer besser im Kartenspielen. Immer ausgefuchster, immer trickreicher. Und er zieht dem dicken Ezechiel den letzten Cent oder Pfennig oder Groschen aus der Tasche. Und hat dann genauso viel in der Tasche wie der dicke Ezechiel.

 

Wie Rauch ist alles verschwunden. Und der Peter kann nicht einmal die drei Bier, die er getrunken hat, bezahlen. Der Wirt hält ihn für einen Betrüger, für einen Zauberer. Peter fliegt in hohem Bogen aus der Kneipe.

 

Und nicht mal beschweren kann er sich beim Glasmännlein, schließlich hat er genau das bekommen, was er sich gewünscht hat.


 

IX

 

An dieser Stelle schickt Hauff den ausgebufften Holländer-Michel ins Spiel.

 

Mit dem Peter sei es aus. Er sei mit seiner Herrlichkeit am Ende, das habe er davon, zu dem dummen Glaszwerg gelaufen zu sein, das habe er jetzt davon, es geschehe ihm recht. Aber er, der Holländer-Michel, er habe Mitleid mit ihm, er wolle ihm helfen, verdient habe es der Peter nicht, ganz gewiss nicht, aber was soll’s, er, der Holländer-Michel, sei nun einmal gutmütig aus Natur. Morgen könne er ihn treffen. Wo? Am Tannenbühl, wo denn sonst. Abgang des Holländer-Michel.

 

Dem Peter läuft es eiskalt über den Rücken. Das Haus, das er betritt, ist noch sein Haus. Diese Nacht gehört es ihm noch. Die Glashütte ist noch seine Glashütte. Diese eine Nacht gehört sie ihm noch.


 

X

 

Es kam, wie es kommen musste. Der Gerichtsvollziehers tritt auf den Plan, damals Amtmann, Pfändung des gesamten Besitzes, Peters Flucht, um sich der Festnahme zu entziehen, der Tannenbühl als letzter Zufluchtsort.

Der Tannenbühl. Wo es am hellen Tag beinahe Nacht ist, weil die Tannen so dicht und so hoch stehen. Das kennen wir schon, doch dieses Mal kein Glasmännlein, nein, dieses Mal ist es der Holländer-Michel.

 

„Peter, dein ganzer Jammer kommt von dem Glasmännlein, diesem Knauser und Frömmler, aber wir, Peter, du und ich, wir werden uns schon handelseinig werden.“

Handelseinig? Was hat der Peter, erst Köhlersohn, dann stolzer Glashüttenbesitzer, Tanzkaiser und Spielepeter, jetzt über beide Ohren verschuldet, schon zu bieten? Verunsichert folgt er dem Holländer-Michel, der ihn nach einer langen Odyssee zu seinem Haus bringt und die entscheidende Frage stellt.

„Was hat dir weh getan?

„Mein Herz“, platzt der Peter heraus.

Er sage es, meint der Holländer-Michel und führt Peter in ein Zimmer, in dem sich unzählige Regale befinden, Regale vollgestellt mit Gläsern. Und in diesen Gläsern gefüllt mit durchsichtiger Flüssigkeit liegen Herzen, in jedem Glas eins, lange Reihen von pulsierenden, zuckenden Herzen, an jedem Glas ein Zettel mit einem Namen drauf.

Eine eindrucksvolle Inszenierung.

Das Herz des dicken Ezechiel, das des Tanzbodenkönigs, ja sogar das Herz des Amtmanns, der Peters Besitz gerade gepfändet hat.

 

Tausche Herz gegen Stein. Kälte gegen Wärme. Geld gegen Gefühle. Die alte Geschichte, die Wilhelm Hauff da auftischt.

 

Hunderttausend Gulden für ein schlagendes Herz. Wir erinnern uns: Von den zweitausend Gulden des Glasmännleins konnte Peter die Glashütte mit allem Drum und Dran kaufen. Hunderttausend Gulden müssen eine gigantische Summe gewesen sein in diesen Zeiten. Hunderttausend Gulden für ein läppisches Herz, das nur Sorgen und Schmerzen bereitet, kein schlechtes Geschäft, denkt sich Peter.

Aber was soll er dann in der Brust tragen als Ersatz für sein Herz, das in ein Glas kommen wird, das auf einem Regal landen wird, das in dem fensterlosen Zimmer abgelegt wird? Peter kommt nicht auf die Idee, den Holländer-Michel zu fragen, was er denn mit all diesen Herzen mache. Würde Peter seinen Kopf doch nur ein klein, klein wenig zum Nachdenken benutzen... Was tragen all die Menschen, deren Herzen im Zimmer, auf Regalen, in Gläsern liegen in ihrer Brust?

„Einen Stein“, sagt der Holländer-Michel.

Und zeigt Peter das steinerne Herz, das im Sommer gut kühle, gegen die Kälte im Winter helfe ein Glas Kirschwasser, oder zwei. Peter denkt nicht lange nach. Bei einem Glas Wein wird das Geschäft perfekt gemacht, Herz gegen Geld.

Einspruch: Ein Stein ist keine Pumpe. Wie soll der Blutkreislauf mit einem Stein funktionieren? Und wie wird das lebendige Herz aus dem Körper entfernt, wie das Ersatzherz aus Stein eingesetzt? Unter Narkose? Einspruch abgelehnt. Was sollen die Spitzfindigkeiten? Wir befinden uns in einem Märchen.


 

 

XI

 

Zwei Jahre reiste Munk kreuz und quer durch die Welt, sah viele Länder, aber freute sich über nichts. Langweilig wurde es ihm. Selbst als er in den Schwarzwald zurückkehrte, kam keine Freude auf, bis es ihm wieder einfiel: Er hatte ja ein Herz aus Stein. Steine sind tot. Steine können nicht lächeln. Steine können nicht weinen.

Nur keine Panik, lässt Hauff den Holländer-Michel zum Munk sagen, die Langeweile komme auch daher, dass er zwei Jahre nur umhergereist sei und nichts gearbeitet habe. Müßiggang sei aller Laster Anfang. Ich bin beeindruckt von dieser Lebensweisheit.

 

Also, eine Arbeit muss her, eine Aufgabe, die Aufgabe reich und reicher zu werden. Holzhandel und Geldverleih. Und wenn die Schuldner die Zinsen nicht zahlen konnten, trat der Amtmann, jetzt ein guter Freund vom Munk, in Aktion. Die Unglücklichen, die um Aufschub der Schuld flehten, vertrieben die Fleischerhunde, die Munk sich angeschafft hatte. Heute würde er sich wohl Kampfhunde halten.

 

Und dann das „alte Weib“, wie Hauff sie nennt. Treibt Munk fast zur Verzweiflung. Lungert vor dem Haus herum, bettelt, jammert, lässt sich nicht vertreiben. Das altbekannte Gesicht, der vertraute, flehende Blick, die Augen, die Munk schon so oft angeblickt haben, die faltige Hand, die ihn so oft gestreichelt hat. Die zitternde, schwache Stimme, die ihn so oft in den Schlaf gesungen hat. Die jetzt wacklige Gestalt, die ihn früher so oft auf Armen getragen hat. Früher. Aber das kalte Herz, das Herz aus Stein, lässt sich nicht erweichen.

 

Das „alte Weib“. Peters Mutter. Hat Haus und Hof verloren, lebt in Armut. Was geht es Munk an? Was geht sie Munk an, die Mutter, die in Armut lebt.

Einmal lässt er sich erweichen, wirft ihr ein lächerliches Almosen hin und ärgert sich tagelang, ärgert sich, weil er glaubt, sein Vermögen sinnlos zum Fenster hinausgeworfen zu haben.


 

XlI

 

Heiraten? Heiraten! Zum Beispiel. Warum nicht. Aber die Schönste, die Tugendsamste des ganzen Schwarzwaldes muss es schon sein. Lisbeth, die schöne Lisbeth, die Tochter eines armen Holzbauern, die allein mit ihrem Vater lebt, die sich nie auf dem Tanzboden sehen lässt. Munk bittet den Vater um die Hand, der sagt zu, ohne seine Tochter, die schöne Lisbeth, zu fragen. Lisbeth gehorcht, wie es sich für eine folgsame Tochter damals gehörte. Wird die Frau des reichen Peter Munk, hat Mitleid mit den armen Leuten, kein Wunder, kommt sie selbst doch aus einfachen Verhältnissen, weiß sie doch am eigenen Leib, was es heißt, arm zu sein. Also hilft sie den Armen, gibt ihnen Geld, gibt ihnen zu essen, ein Stück Brot, einen Teller Suppe, gibt ihnen was zu trinken, ein Glas Wasser, manchmal auch ein Glas Wein. Es kann doch nicht verboten sein, den Armen und Schwachen zu helfen.

 

Es ist verboten. Munk verbietet es. Er lasse nicht zu, dass sein Vermögen an Lumpen und Straßenläufer verschleudert werde, heute würde er von Obdachlosen, von Pennern, reden. Damals hießen die Penner Straßenläufer. Was für ein Unterschied!

 

Der Geiz hat den Munk gekrallt, ihn, der so viel Geld hat, das immer mehr wird und mehr. Der Geiz ist eins mit ihm geworden. Und Munk merkt es nicht einmal. So er wie früher, vor langer, langer Zeit, als noch ein Herz in seiner Brust schlug, als er sich noch freuen, als er trauern konnte, nicht gemerkt hatte, wie geizig der dicke Ezechiel gewesen war, wie geizig der Tanzbodenkönig gewesen war.

Er lasse nicht zu, dass sie sein Vermögen verschleudere. Das lasse er nicht zu. Wenn er sie noch einmal erwische, dann werde sie seine Hand fühlen. Es gab damals kein Frauenhaus, in das die schöne Lisbeth sich hätte flüchten können.

Die schöne Lisbeth weint allein in ihrem Zimmer, weint und kann ihren Mann nicht verstehen, weint und weiß nicht, dass in seiner Brust kein Herz schlägt, weint und weiß nicht, dass in seiner Brust ein kalter, schwerer Stein liegt, weint und weiß nicht, dass ihr Mann keine Gefühle, keine Liebe, kein Mitleid empfinden kann. Wüsste sie es, sie hätte wenigstens eine Erklärung für sein Verhalten. Lisbeth weint und ist unglücklich, sie weint und schließt die Augen, um das Elend nicht sehen zu müssen. Hauff lässt sie weinen und weinen. Und in der Umgebung wird auch sie als geizig verschrien.


 

XIII

 

Der alte Mann trägt einen schweren Sack, gebeugt geht er, sein Atem geht schwer, Schweiß steht ihm auf der Stirn. Er bittet Lisbeth um einen Schluck Wasser, nur einen Schluck.

So ein alter Mann sollte nicht mehr so schwer tragen müssen, denkt Lisbeth, will ein Glas Wasser holen, überlegt es sich, füllt ein Glas mit Wein, legt ein Stück gutes Roggenbrot oben drauf, reicht alles dem alten Mann. Der ist gerührt von so viel Hilfsbereitschaft und bricht in Tränen aus.

„So ein Herz“, meint er, „bleibt nicht unbelohnt.“

 

Der Lohn folgt auf der Stelle. Geschickte Inszenierung, Auftritt des Munk, mit rotem Gesicht, mit „blutrotem“, betont Hauff. Geschwollene Zornesadern sehe ich vor mir. Ich kenne die Litanei, Vermögen verschleudern, den besten Wein für diesen Straßenläufer da, richtig liebevoll erscheint mir das Wort, Straßenläufer, ich denke an Penner und bin beschämt. Den besten Wein, noch dazu im Sonntagsglas. Bei uns zu Hause gab es das Sonntagsservice, das nur beim Kaffeetrinken am Sonntag hervorgekramt wurde.

 

Kein Mitleid kennt das Herz aus Stein, das kalte Herz, das tote Herz, Munks Herz. Mit dem Griff der Reitpeitsche schlägt er zu, ich erfahre, dass der Griff der Peitsche aus Ebenholz ist, ein festes Holz muss das sein, reime ich mir zusammen, Munk schlägt immer noch zu, der Ebenholzgriff trifft Lisbeth auf der Stirn. Hauff lässt Lisbeth in die Arme des alten Mannes fallen, Lisbeth darf sich nicht mehr rühren. Die Stimme des alten Mannes ändert sich. Munk kennt diese Stimme. Es ist die Stimme des Glasmännleins.

„Lisbeth, die schönste Blume im Schwarzwald wird nie mehr blühen, Du, Munk, hast sie zertreten.“

 

Munk fällt es wie Schuppen von den Augen. Wieso eigentlich? Schließlich hat er ein Herz aus Stein. Ein Märchen, es ist ein Märchen, fast hätte ich es schon wieder vergessen. Also noch einmal: Munk fällt es wie Schuppen von den Augen.

 

Hut ab, Herr Hauff. Aber vielleicht ein wenig skrupellos. Schließlich muss die arme Lisbeth dran glauben. Und vorher schon die Mutter in ihrem Elend. Und die vielen, die ihr Hab und Gut verloren haben, die vor Munks Fleischerhunden Reißaus nehmen mussten. Aber ich verstehe das Dilemma. Munk muss ganz tief nach unten fallen. So tief, tiefer geht es nicht. Und vielleicht hat Hauff ja noch ein Happyend in petto. Bestimmt hat er das. Aber noch ist es nicht so weit. Erst muss sich Munk zur bitteren Wahrheit durchringen.


 

XIV

 

In seinem ersten Schrecken gibt Munk dem Glasmännlein die Schuld.

„Du hast mir das alles eingebrockt, du mit deinen Versprechungen, deinen falschen Schätzen, ohne dich wäre ich ein ehrlicher Köhler geblieben, hätte ich nie die Glashütte verloren, wäre ich nie zum Tanzkaiser und Spielepeter geworden, ohne dich wäre ich nicht an den Holländer-Michel geraten, hätte nicht mein lebendiges, mein schlagendes Herz, gegen ein kaltes Herz, ein Herz aus Stein getauscht. Du, Glasmännlein, du bist an allem schuld.“

 

Wie die Kurve kriegen? Wie aus der Sackgasse geraten? Wie Munk zum Nachdenken bringen? Zum Nachfragen, zum Hinterfragen. Keine leichte Aufgabe. Aber Hauff meistert sie souverän. Er lässt das Glasmännlein anwachsen, anschwellen, hoch und breit werden, Augen wie Suppenteller, ein Mund wie ein geheizter Backofen, nicht so ein üblicher Einbauherd, den wir kennen, ein mit Feuer geheizter Backofen. Das Glasmännlein, jetzt ein riesiger Waldgeist packt den Munk im Genick, wirft ihn zu Boden, alle seine Rippen lässt Hauff knacken.

„Erdenwurm!“, brüllt der Waldgeist. Acht Tage gibt er dem Munk Zeit. Acht Tage sich zum Guten zu besinnen. Sonst... Ich brauche keine Phantasie, um mir die Konsequenzen vorzustellen.

 

Als Munk Stunden später aufwacht, sucht er seine Frau. Ich darf vorsichtig die Frage stellen, was Hauff denn mit den sterblichen Überresten angestellt hat, das frage ich mich, ohne eine Antwort zu erwarten, ich vertröste mich auf das Ende.

Munk findet Lisbeth nicht. Das war zu erwarten. Er fängt an nachzudenken, seine Kritikfähigkeit erwacht. Endlich, Peter, das wurde Zeit, sage ich mir.

Munk hat sein Herz hergegeben und sich eines aus Stein einsetzen lassen, wie auch immer das gegangen sein soll, aber dieser Einwand ist bereits abgehandelt.

Munk hat alles Menschliche verloren, hat seine Mutter verstoßen, seine Frau Lisbeth getötet. Er hat sein Herz verkauft. Er trägt einen Stein in der Brust, ein kaltes Herz, das ihn gefühllos macht. Er ist allein auf der Welt. Bittere Wahrheit. Und Lisbeth bleibt verschwunden, auch dieser Tatsache muss sich Munk stellen.

„Verreist, meine Frau ist verreist.“

Eine bessere Ausrede fällt Munk auf die Schnelle nicht ein. Die Umgebung ist beruhigt, einige Tage zumindest. Doch Munk findet keine Ruhe. Ein süßes Stimmchen zieht Hauff aus dem Ärmel.

„Peter, schaff dir ein wärmeres Herz!“, lässt Hauff das Stimmchen säuseln. Und Munk erstarrt jedes Mal, wenn er die Stimme hört, die süße, schließlich denkt er, es könne nur die Stimme seiner Lisbeth sein.

Der dicke Ezechiel, dem Munk seine Probleme gesteht, kann ihm nicht helfen. Das sei ja gerade das Bequeme an einem kalten Herzen, dass man vor solchen Gedanken keine Angst habe. Punkt. Aus. Basta. Munk nützt das nichts. Während der dicke Ezechiel seine Weisheiten zum Besten gibt, hört Munk immer wieder diese zarte Stimme.

„Peter, schaff dir ein wärmeres Herz!“

Irgendwo ehrt es ihn, dass er so aufgewühlt ist, trotz seines kalten Herzens, aber das ist nicht Munks Problem, eher das von Wilhelm Hauff.


 

XV

 

„Peter, schaff dir ein wärmeres Herz!“

Hauff quält Munk mit dem Stimmchen. Langsam klopft er ihn weich, den Köhler, den Glashüttenbesitzer, den Tanzkaiser und Spielepeter, den Holzhändler und Geldverleiher, den Ehemann mit dem kalten Herzen, den Sohn, der vor einem Scherbenhaufen steht. Hauff lässt Munk seinen Kopf gebrauchen, jetzt endlich, jawohl, ein wärmeres Herz muss her, Schluss mit der Gefühllosigkeit. Er erkennt seine Behinderung.

Da ist doch noch der dritte Wunsch. Also wieder der Tannenbühl, wo die Tannen dichter standen, wo es am hellen Tag beinahe Nacht war, ich weiß es, ich kenne das, habe es jetzt schon oft genug gehört. Der Spruch, der dem Munk jetzt leicht von den Lippen geht:

 

„Schatzhauser im grünen Tannenwald,

bist schon viele hundert Jahre alt,

dir gehört all das Land, wo Tannen stehen,

lässt dich nur Sonntagskindern sehen.“

 

Munk ist ein Sonntagskind, ich habe es nicht vergessen, dieses Mal lässt Hauff das Glasmännlein ganz in schwarz auftreten, sogar mit Trauerflor am Hut, und Munk weiß sofort, um wen das Glasmännlein trauert.

Der dritte Wunsch. Fast hätte ich ihn vergessen.

Munk erinnert an den dritten Wunsch, den er noch frei habe.

„Können Steinherzen noch wünschen?“, legt Hauff dem Glasmännlein in den Mund.

Munk pocht auf sein Recht.

„Ich wünsche mir, dass du mir den Stein aus der Brust nimmst und mir mein lebendiges Herz wiedergibst.“

Aber so einfach lässt Hauff den Munk nicht davonkommen.

„Bin ich der Holländer-Michel? Bei ihm musst du dein Herz suchen.“

Aber das Glasmännlein, das sich anfangs so hart gibt, lässt sich erweichen, mit Gewalt komme Peter nicht an sein Herz, da müsse er schon eine List anwenden, heute würde es heißen, Munk müsse den Holländer-Michel austricksen. Und das Glasmännlein legt Munk einen Plan dar, wie er wieder zu seinem Herzen komme, zu seinem richtigen, dem, das leiden kann und sich freuen. Hauff verrät diesen Plan noch nicht. Er lässt uns zappeln, ein klein wenig noch. Und zum Schluss gibt das Glasmännlein Peter ein Kreuz aus Glas. Als jemand, der sein Kreuz hat mit dem Kreuz, hätte ich diese Stelle gerne unterschlagen. Aber ich darf es nicht so eng sehen, schließlich habe das Glaskreuz nicht ich zu verantworten. Also kann ich mich entspannt zurücklehnen, kann das Kreuz Hauff in die Schuhe schieben.


 

XVI

 

Der Holländer-Michel ist gut unterrichtet, weiß Bescheid, dass Peter seine Frau erschlagen hat, dass er für einige Zeit untertauchen muss, am besten außer Landes gehen sollte. Und dafür brauche Peter, logisch, Geld, und das bekomme er, logisch, von ihm, dem Holländer-Michel. Peter bestärkt den Holländer-Michel, er habe es erraten, er wolle weit weg, nach Amerika.

 

Meine Urgroßmutter hatte neun Brüder, alle neun sind nach Amerika ausgewandert. Und haben es dort zu Reichtum gebracht. Bei jedem Familienfest wurde die Geschichte erzählt. Außer an einen Donald-Duck-Teller, den man mit heißen Wasser füllen konnte, um das Essen für kleine Kinder länger warm zu halten, kann ich mich an keinen Reichtum aus Übersee erinnern. Und wer Donald Duck war, das wusste ich damals auch noch nicht.

 

Peter lullt den Holländer Michel ein, lenkt ihn ab, schmiert ihm Honig um den Bart. Und trifft ihn dann ganz unvermittelt.

„Michel, du hast mich hinters Licht geführt, wolltest mir weismachen, du habest mein Herz und in meiner Brust sei ein kalter Stein.“

Der Holländer-Michel ist so dumm, wie das Glasmännlein es vorausgesagt hat. Er durchschaut nicht, was gespielt wird.

„Aber natürlich hast du einen Stein in der Brust, Peter, dein Herz liegt in einem Glas, so wie die Herzen des dicken Ezechiel, des Tanzbodenkönigs, des Amtmanns und viele andere Herzen“, verteidigt er sich.

Peter lacht und sagt: „Michel, lass die Witze, die Herzen, die du mir gezeigt hast, die sind doch alle aus Wachs, gut gemacht, das gebe ich ja zu, aber allesamt aus Wachs.“

Der Holländer-Michel ist erregt, reißt die Tür zum Zimmer mit den Herzen auf, deutet auf Peter Munks Herz, das da in dem Glas vor sich hinzuckt.

 

Peter bleibt cool, das Herz im Glas sei doch aus Wachs, so schlage ein richtiges Herz nicht, er habe seines in der Brust. Und jetzt hat er den Holländer-Michel genau da, wo Hauff ihn haben wollte. Der Holländer-Michel reißt Peters Hemd auf, nimmt den Stein aus der Brust, zeigt ihn dem Peter und setzt dann das Herz an die Stelle des Steines, alles absolut schmerzfrei, ohne Narkose, in Sekundenschnelle. Ich weiß, ein Märchen. Ich werde es nicht vergessen. Sofort fühlt Peter, wie sein Herz schlägt und sofort kann er sich darüber freuen.

Der Holländer-Michel ist stolz, er hat es dem Kerl gezeigt, er ist kein Lügner. Das bestätigt ihm auch Peter.

„Du hast recht gehabt.“

Der Holländer-Michel will das Herz gleich wieder einsacken, aber Peter hält ihm das Kreuz aus Glas vor die Nase, so wie man einem Vampir eine Knoblauchknolle hinhält. Hauff lässt das Kreuz wirken, der Holländer-Michel weicht zurück, Peter macht sich mit seinem lebendigen Herzen aus dem Staub.


XVII

Es ist die alte Geschichte, doch immer wieder neu, und wem sie passiert, dem bricht es das Herz. Es ist die Geschichte vom armen Köhler Peter Munk, der mit Hilfe des Glasmännleins zu Wohlstand kommt, der ihm jedoch bald zwischen den Fingern zerrinnt. Enttäuscht wendet er sich an den Holländer-Michel, der ihm anhaltenden Reichtum verspricht, wenn Peter sein Herz hergebe und sich eines aus Stein einsetzen lasse. Tausche Herz gegen Stein. Kälte gegen Wärme. Geld gegen Gefühle. Es ist die alte Geschichte.

Als Munk das Steinherz trug, weinte er nie, seine Augen waren trocken wie das Land im Juli, ein schöner Vergleich, der Hauff da einfällt. Aber ob er heutzutage noch passt? Jetzt bricht es Peter das Herz, wenn er an Lisbeth denkt, die er erschlagen hat, an seine alte, Mutter, die er in ihrer Armut allein gelassen hat, an all die Schuldner, die er ins Elend getrieben hat. Herz reimt sich wieder auf Schmerz. Das Glasmännlein wird durch Peters Reue versöhnlich gestimmt. Und weil er ein Waldgeist ist, weil Hauff ihn mit übernatürlichen Kräften ausgestattet hat, ist es für das Glasmännlein ein Leichtes, für ein richtiges Happyend zu sorgen. Peter hört leise Schritte hinter sich, er dreht sich um, seine Mutter und Lisbeth blicken ihn freudig an.

Der Rest ist schnell erzählt. Peter ist zufrieden mit dem, was er hat, arbeitet wieder als Köhler. Schuster bleibt bei deinen Leisten, fällt mir ein. Und wieder bin ich beeindruckt.

Peter zieht in sein altes Köhlerhaus. Der Prachtbau des reichen Munk ist vom Blitz zerstört worden. Peter wird durch seine Arbeit wohlhabend, angesehen. Lisbeth bekommt einen Jungen. Alles wendet sich wie von Zauberhand zum Guten. Es ist die Zauberhand von Wilhelm Hauff.

Peter ist nach einer langen Reise angekommen in der Zufriedenheit, die das wahre Glück sei, bilanziert Hauff am Ende. Lebensweisheiten im Sekundentakt.

Im Oktober kam auch Wilhelm Hauff von einer Reise zurück. Im August 1827 reiste er nach Tirol, um Material für einen Roman über Andreas Hofer zu sammeln. Literarisch hatte Hauff einen Namen vor allem als Romanautor. Dass er auch Märchen schrieb, von denen einige heute zur Weltliteratur zählen, wurde zu seinen Lebzeiten kaum wahrgenommen. Das mag daran gelegen haben, dass Märchen nach der Romantik ziemlich aus der Mode gekommen waren.

Im Frühjahr 1827 hatte Wilhelm seine Cousine Luise Hauff geheiratet, nachdem er im Januar eine Stelle als Redakteur des Morgenblattes für gebildete Stände angenommen und über ein gesichertes Einkommen verfügen konnte. Mit Luise war er seit 1824 verlobt.

Peter kommt nach langer Reise endlich zu Hause an, er hat sein Herz wieder, er kann wieder lachen, sich freuen und traurig sein. Wilhelm Hauff kam von seiner Tirol-Reise, damals eine Gewalttour, kränkelnd zurück nach Stuttgart. Er fühlte sich missmutig, abgeschlagen, hatte Ekel vor allem. Anfang November besserte sich sein Zustand etwas, die Geburt seiner Tochter Wilhelmine am 10. November erlebte er noch. Dann folgte ein Rückschlag, sein Zustand verschlechterte sich, der Arzt diagnostizierte „Schleimfieber“, was immer das genau sein mag, und „Nervenfieber“.

„Es ist doch besser, zufrieden zu sein mit wenigem, als Gold und Güter haben und ein kaltes Herz“, lässt Hauff den alten, grauhaarigen Peter Munk am Ende des Märchens sagen. Peters Happyend ist nicht Hauffs Happyend. Während Peter zufrieden im Kreise seiner Kinder und Enkelkinder alt wird, und sind sie nicht gestorben, dann leben sie immer noch, unbestechliche Märchenlogik, liegt Wilhelm Hauff auf dem Totenbett, weint Luise, seine Frau um ihn, wird die kleine Wilhelmine ohne ihren Vater aufwachsen müssen. Das ist kein Märchen. Märchen haben eine andere Logik.

Am 18. November 1827 stirbt Wilhelm Hauff, kurz vor seinem 25. Geburtstag. Der „Märchenalmanach für das Jahr 1828“ ist noch nicht erschienen, noch kennt niemand die Geschichten aus dem „Wirtshaus im Spessart“. „Das kalte Herz“ ist noch nicht gedruckt.


 

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