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Leseprobe "Martin spielt im Mittelfeld" (2014)

 

Am Zaun 

 

Eigentlich hat Papa damit angefangen. Der mit seinem Fußballtick. Wenn wir in den Wald gegangen sind, früher, als ich noch kleiner war, hat Papa immer einen Umweg gemacht. Vorbei am Fußballplatz. Da, wo wir wohnen, gibt es viele Fußballplätze. Der am Wald ist der TSG-Platz. Manchmal ist Training gewesen, und wir haben am Zaun gestanden und zugeschaut. Am Sonntagmorgen haben oft Mannschaften gegeneinander gespielt, mit Trikots und mit Schiedsrichter. Mensch, da war was los! Wie die rumgebrüllt haben!

„Mann, her mit dem Ball! Sei nicht so eigensinnig!‟

„Gibt's doch nicht! Der Ball muss drin sein!‟

„Spiel endlich ab, du Schlafmütze!‟

So ging das die ganze Zeit. Papa hätte stundenlang am Zaun stehenbleiben können. Mir hat es ja auch gefallen, aber nach ein paar Minuten ist es mir langweilig geworden. Wenn wir einen Ball dabeigehabt haben, habe ich Papa am Ärmel gepackt und weitergezogen. In der Nähe, mitten im Wald, ist nämlich ein kleiner Bolzplatz, so richtig mit Toren. Da macht das Kicken Spaß! Einmal hat Papa seinen Schlüsselbund neben den Torpfosten gelegt und ihn vergessen. Erst zu Hause hat er es gemerkt. Er hat sich auf sein Fahrrad gesetzt und ist zurück in den Wald gerast. Ohne Erfolg. Der Schlüsselbund war weg.

„Alle meine Schlüssel, Wohnungsschlüssel, Autoschlüssel, die Schlüssel von der Arbeit, alles weg. Und warum? Nur wegen diesem blöden Fußball. Nie mehr spiele ich Fußball mit dir!‟

Papa hat sich reingesteigert, ist immer wütender geworden. So läuft das jedes Mal, wenn etwas schiefgeht. Wie damals beim Mobile. Sophia, meine Schwester, war noch ein Baby, und Mama hat so bunte Kugeln gekauft. Papa wollte sie über Sophias Bett aufhängen. Papa stand auf der Leiter, die Bohrmaschine in der Hand.

„Kein Problem, schnell ein Loch in die Decke bohren und fertig!‟

Schön wär's gewesen. Papa hat gebohrt, die halbe Decke ist runtergekommen. Ein riesiges Loch. Papa hat es mit Gips zugeschmiert, einen Dübel reingedrückt, den Haken festgeschraubt. Aber das Mobile hat er viel zu früh drangehängt. Alles ist runtergekommen. Und Papa ist ausgeflippt.

„Wer ist nur auf diese blöde Idee mit dem Mobile gekommen?‟

Und jetzt die Sache mit dem Schlüsselbund. Das finde ich wirklich ungerecht. Ich soll dran schuld sein, weil ich unbedingt auf den Waldfußballplatz wollte. Wo wir doch auch im Garten Fußball spielen könnten! Papa hat gerade zu seinem Tobsuchtsanfall angesetzt, da hat es geklingelt. Sandra ist mit ihren Eltern gekommen. Und Papa musste sich zusammennehmen. Ist ihm schwer gefallen. Sandra ist meine Freundin, also heute nicht mehr so sehr. Noch ein bisschen. Mit Sandra habe ich dann auf unserem Rasen Fußball gespielt. Zwölf zu acht habe ich gewonnen, aber Sandra ist ziemlich gut. Schade, dass sie nicht zusammen mit mir in der Fußballmannschaft spielen darf. Dabei würde sie so gerne, aber ihre Eltern lassen sie nicht.

 

 

Eines Tages, ich war schon fünf, sind wir wieder mal am TSG-Platz vorbeigekommen. Und dieses Mal haben da kleinere Kinder gekickt.

„So wie du‟, hat Papa gesagt.

Zehn, zwölf Kinder standen in einer Reihe hintereinander. Und jedes Kind hat einen Fußball gehabt. Und in dem riesengroßen Tor ein kleiner Junge.

„Da im Tor, da ist ja Bastian!‟, habe ich gerufen.

Den kenne ich nämlich. Bastian war bei mir im Kindergarten, in einer anderen Gruppe. Vor dem Tor stand ein Mann, viel größer als Papa und dicker. Wenn der gerannt ist, ist seine Trainingsjacke hochgerutscht, und sein Bauch hat rausgeschaut.

„Das ist der Trainer‟, hat Papa gesagt. „Der muss den Spielern alles beibringen.‟

Der dicke Mann hat gepfiffen, ein Junge ist mit dem Ball Iosgelaufen. Noch ein Pfiff, und der Junge hat den Ball zum Trainer gespielt. Der hat den Ball sofort zurückgekickt, und der Junge hat auf das Tor geschossen. Es ist aber nur ein langsamer Roller geworden. Den konnte Bastian mit einer Hand fangen. Richtig babyhaft war der Schuss.

„Der soll mal ein Butterbrot hinterherschicken‟, hat Papa gesagt.

Der dicke Mann hat wieder gepfiffen. Dieses Mal ist ein Mädchen losgerannt.

„Die kenne ich ja auch, das ist Petra.‟

Petra war auch mal bei mir im Kindergarten, aber damals schon in der Schule. Papa hat was von Dribbeln erzählt, von Doppelpass und Volleyschuss. Ich habe nichts verstanden. Hat mich auch nicht so interessiert. Petra hat gerade geschossen, hat den Ball genau getroffen. Halbhoch in die Ecke ist er geflogen. Bastian hat sich langgemacht, aber an den Ball ist er nicht rangekommen. Petra hat beide Arme hochgerissen, und ich habe „Tor, Tor‟ geschrieen. Aber ausgerechnet jetzt wollte Papa weiter. Sophia war nämlich schon vorgelaufen und hat rumgequengelt. Das macht sie immer, wenn sie ihren Kopf durchsetzen will.

„Komm, Martin‟, hat Papa gesagt. „Du siehst doch, Sophia.‟

Ich habe mich stur gestellt und den Kopf geschüttelt. Der Trainer hat wieder gepfiffen, niemand ist gerannt.

„Sascha, beweg dich. Schlafen kannst du nach dem Training!‟

Ich bin richtig zusammengezuckt.

„Ich kann dich ja beim Fußball anmelden.‟

Gemein war das. Papa hat genau gewusst, dass ich mich nicht traute. Nur vom Zaun weglocken wollte er mich. Und das hat er auch geschafft. Ich bin hinter Sophia hergerannt.

„Zu Hause spielen wir doch immer Fußball. Warum willst du denn nicht in den Fußballverein? Hättest du denn keine Lust dazu?‟

Dass Papa immer wieder davon anfangen musste. Ich habe vielleicht eine Wut gehabt, auch auf mich, weil ich so gern Fußball gespielt hätte. Ich habe Sophia überholt.

„Da, ein Eichhörnchen!‟

Da war aber keines. Ich wollte nur Sophia ärgern.

„Wo, wo‟, hat Sophia gefragt, „will auch sehen.‟

Ich habe auf die große Kiefer gezeigt.

„Bist du sicher, Martin, dass da ein Eichhörnchen ist?‟

Papa hat mir nicht so richtig geglaubt.

„Aber natürlich, jetzt rast es den Baum hoch.‟

Sophia hat mit dem Fuß aufgestampft.

„Sophia will auch sehen.‟

„Jetzt ist es hinter dem Baum verschwunden‟, habe ich gesagt. „Zu spät, Pech gehabt.‟

Sophia hat sich auf den Boden gesetzt.

„Wollte auch sehen.‟

Sie hat Papa angeschaut.

„Will reiten.‟

„Kommt gar nicht in Frage‟, hat Papa zu Sophia gesagt und zu mir: „Martin, war das nötig?‟

 

 

Ich bin auf die Brücke gerannt. Die Brücke geht über die Schnellstraße. Ich habe einem Lastwagen gewunken, aber der Fahrer hat nicht hochgeguckt.

„Wer als erster beim Kletterbaumist!‟

Ich bin losgerannt, ohne mich noch einmal umzuschauen.

Auf der anderen Seite im Wald ist ein kleiner Spielplatz, schon ein bisschen vergammelt, aber besser als nichts. Als ich dort ankam, war Papa noch weit weg. Sophia hat auf seinen Schultern gesessen, natürlich.

„Gewonnen, gewonnen!‟

Ich habe die Arme hochgerissen wie Petra. Endlich kam Papa.

„Wenn du ins Fußballtraining gehst, schenke ich dir ein paar Fußballschuhe.‟

Papa hat genau gewusst, wie sehr ich mir die gewünscht habe.

„Erpressung ist das! Papa, ich trau mich doch nicht.‟

 

 

Die neuen Fußballschuhe

 

Nach den Sommerferien waren wir die Größten im Kindergarten. Niemand konnte uns mehr wegjagen.

„Du darfst nicht mitspielen.”

„Hau ab! Mach bloß die Fliege!‟

Das war vorbei. Jörg, Sandra und ich waren im Kindergarten immer in der gleichen Mannschaft. Und wir haben jedes Spiel gewonnen, fast jedes. Nur mit Sandra gab es manchmal Streit, wenn sie den Ball in die Hände nahm. „Handspiel, das gibt Freistoß — und Gelbe Karte.‟

Sandra hat den Ball an sich gedrückt und ist weggelaufen. Und den Einwurf hat sie jedes Mal falsch gemacht. Mit einer Hand hat sie geworfen, dabei muss man den Einwurf mit beiden Händen und über den Kopf machen. Das Blöde ist, Sandra lässt sich einfach nichts erklären. Sie stellt sich dann stur. Wir haben halt mit falschem Einwurf gespielt. Spaß gemacht hat's trotzdem. Einmal habe ich den Ball über den Zaun geschossen. Das war vielleicht ein Schuss! Zuerst war ich richtig stolz. Dann habe ich mich fürchterlich geärgert. Frau Naumann, unsere Kindergärtnerin, hat sich nämlich nicht getraut, bei dem Nachbarn zu klingeln.

„Der schimpft nur über den Kindergarten. Das ist so ein unfreundlicher, älterer Mann.‟

Und der Ball blieb im Nachbargarten liegen, und der Mann hat ihn auch nicht rübergeworfen. Am nächsten Morgen habe ich von zu Hause einen Ball mitgebracht, nicht unseren guten, sondern den alten, rotgelben. Was waren meine Hosen grün am Knie vom vielen Reingrätschen. Oder wenn ich gefoult wurde. Wenn es geregnet hat und wir nicht in den Hof durften, waren wir alle traurig.

 

 

Und Sophia hat mich genervt. Im Oktober ist sie in den Kindergarten gekommen. Ohne mich ist sie nicht aufs Klo marschiert. Immer musste ich mit. Am Anfang ist sie alle zehn Minuten gegangen. Ich glaube, ihr haben die kleinen Klos so gut gefallen. Da hat sie sich dann draufgesetzt, ich musste ihre Hände halten, und Sophia hat gedrückt und gedrückt. Zwei, drei Tröpfchen sind herausgekommen, mehr nicht. Und draußen hat Jörg „Tor‟ gerufen und Marco „Nein, nein, kein Tor‟, und ich habe nichts mitgekriegt.

 

 

Eines Nachmittags ist Papa mit einer Plastiktüte von der Arbeit gekommen.

„Rate mal, was da drin ist.‟

Ich habe meine Rollschuhe angehabt und bin in unserem Garten hin- und hergefahren. Vorne am Geländer stand Yvonne.

„Ich habe sogar Disko-Roller‟, hat sie mir zugerufen.

Dabei habe ich Yvonne noch nie mit Disko-Rollern gesehen. Papa hat die Tüte hochgehalten, ganz hoch, so dass ich nicht drankam.

„Na, was ist drin?‟

„Eine Brücke für die Holzeisenbahn? Ein Sandlaster? Fingerfarben? Ein Buch vom Räuber Hotzenplotz?‟

„Falsch, ganz falsch, alles falsch.‟

Yvonne stand immer noch am Geländer. Früher ist sie nach dem Kindergarten manchmal zu uns in den Garten hereingekommen. Aber das macht sie jetzt nicht mehr.

„Na, fällt dir schon nichts mehr ein?‟

Einmal hat Mama zu Yvonne gesagt: „Hör mal, Yvonne, du darfst gerne zu uns kommen. Aber deine Eltern müssen wissen, dass du hier bist, sonst machen sie sich Sorgen. Ich kann ja mal bei deiner Mama und deinem Papa anrufen.‟

Da ist Yvonne wie der Blitz von der Schaukel heruntergesprungen und abgehauen und nie mehr in unseren Garten gekommen. Nur vorn an der Straße steht sie und schaut zu, wie wir schaukeln oder wie ich Rollschuh fahre.

„Ich komm nicht drauf, was in der Tüte ist.‟

Plötzlich hat Papa, ich glaube, ich sehe nicht recht, ...

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