Samstag, 1. September
1984
1
Die
Gartentür ist angelehnt. Mir fällt auf, dass die Wand unter dem
doppelflügeligen Fenster vorne zur Straße hin frisch gestrichen ist.
Ein Grauton, der heller ist als der alte Anstrich. Haben wohl eine
Schmiererei überpinselt. Wundert mich nicht. Bei dem. Ich drücke die
Tür auf. Im Vorgarten ist ein ausgehobenes Loch, groß genug für den
Strauch im Pflanzcontainer, der neben dem Weg steht. Haselnuss, mutmaße
ich. Aber ich bin nicht sicher. Ich gehe die wenigen Meter bis zur
Haustür, der Spaten und die Spitzhacke springen mir ins Auge, die
Werkzeuge, die neben der Tür unter dem Vordach lehnen, beide
lehmverschmiert. Damit haben sie das Pflanzloch ausgehoben, denke ich.
Wenn er nicht pariert ... geht es mir durch den Kopf und ich drücke auf
die Klingel. Nichts passiert. Ich drücke ein zweites Mal auf die
Klingel, dieses Mal energischer, fordernder. Drinnen ein Poltern, dann
wird die Tür aufgerissen. Er steht vor mir, auf den Plakaten wirkt er
größer und jünger. Fragend sieht er mich an.
»Und?
Haben Sie es besorgt?«, frage ich schließlich.
Mein
Gegenüber entspannt sich.
»Ach,
du bist das. Hab ich dir nicht deutlich ...«
Wut
steigt in mir auf, ich fühle mich nicht ernst genommen. In meinem Kopf
hämmert es.
»Her
mit dem Geld! Los!« Ich drücke meine Hände gegen die Schläfen.
Der
Typ in der Wohnungstür lacht. Arrogant, finde ich.
»Hier
gibt es für dich nichts zu holen. Das hab ich dir schon am Telefon
gesagt. Mach, dass du wegkommst!«
»Wenn
ich an die Öffentlichkeit ...«
»Was
ist dann? Nichts ist dann. Du kannst an die Öffentlichkeit gehen. Los
doch! Ich hab nichts zu verbergen. Für deinen Schmutz interessiert sich
eh niemand. Das ist lange vorbei. Mach dich fort!«
»Schließlich
ist gerade ...«, ich zögere, habe Angst mich zu verhaspeln, zu
stottern. Ich fange immer an zu stottern, wenn ich mich aufrege. »...
Wahlkampf«, bringe ich heraus.
»Bei
mir gibt es nichts zu holen, keinen einzigen Pfennig, kapier das
endlich. Und jetzt Ende der Diskussion, ich muss los.«
Er
dreht sich um, macht die zwei Schritte bis zur Garderobe und greift nach
einer hellen Windjacke.
Ich
kann es nicht fassen. Der lässt mich stehen wie einen Schuljungen.
Respektiert mich nicht. Dabei habe ich ihm klipp und klar erklärt, was
Sache ist. Nicht mit mir. Die Spitzhacke an der Wand. Ich mache damit
einen Schritt ins Haus. Die Kopfschmerzen wie weggeblasen. Ich lege
meine ganze Kraft in den Schlag. Die scharfe Spitze der Hacke dringt
ganz leicht in den Schädel ein. Das Geräusch! Ohne einen Laut von sich
zu geben, sackt der Mann in sich zusammen, kippt gegen den
Garderobenspiegel und gleitet wie in Zeitlupe zu Boden. Eine rosafarbene
Masse klebt am Spiegel und rutscht langsam nach unten. Sieht aus wie das
Kalbsbries, das sich meine Urgroßmutter jeden Freitag zubereitet hat
und von dem ich als kleiner Junge habe probieren dürfen. Damals war das
ein Leckerbissen für mich. Sah aus wie Rührei. Keinen einzigen Bissen
könnte ich mehr davon runterkriegen. Ich hole wieder aus, schlage ein
zweites Mal zu, jetzt mit der stumpfen Seite der Hacke. Dann lasse ich
die Hacke fallen, trete dem reglos vor mir liegenden Mann in den Magen.
Nicht mit mir! In den Unterleib. Der gibt keinen Laut mehr von sich. Der
ist hin! Ich lasse mich nicht lächerlich machen. Von niemandem. Ich
beuge mich hinunter zu dem Mann. Ja, jetzt endlich hat er kapiert.
»Das
hast du jetzt davon. Über mich macht man sich nicht lustig.«
Ich
bin schon dabei, das Haus zu verlassen, als ich es mir anders überlege.
Ich gehe in den Flur zurück, ziehe die erstbeste Tür auf, es ist die
Küche, reiße Schubladen heraus, werfe Töpfe auf den Boden. Im
Esszimmer durchwühle ich die Kommode, kippe die Besteckschubladen aus.
Im Zeitungsständer entdecke ich eine Plastiktüte. Ich stopfe Messer,
Gabeln, Löffel in die Tüte, das gute Silberbesteck für sonntags. Dann
werfe ich die Kristallgläser zu Boden, einige zersplittern, andere
überstehen den Sturz. Ich ziehe mein Taschenmesser aus der Hose,
zerfetze die Polster des Sofas und der Sessel. Auf einem Beistelltisch
ist eine Kamera, die neu und wertvoll aussieht. Vielleicht kann ich sie
zu Geld machen. Oder ich nehme sie für mich. Besser als meine auf jeden
Fall. Und bestimmt teurer. Also auch in die Plastiktüte. Ich drehe mich
noch einmal um, sehe die Verwüstung und bin zufrieden. Ich renne die
Treppe hoch, schaue ins Schlafzimmer, breites französisches Ehebett.
Hier hat der Typ mit seiner Alten gepennt. Runter mit dem Bettzeug,
Kopfkissen in die Ecke, die Matratzen aufschlitzen, sie aus dem Bett
reißen. Auf dem linken Nachttisch ein Schmuckkästchen, Ringe, Ketten,
Armbänder, auch welche aus Gold. Greife mir alles, auch in die
Plastiktüte. Im Bad Badetücher herunterzerren, Klopapier entrollen.
Dann knicke ich den Handtuchhalter ab und zerschlage mit ihm den
Spiegelschrank. Es splittert. Ein Glasstückchen trifft mich an der
Backe. Unten stoße ich den Garderobenständer noch um, trete darauf,
Holz splittert. Ich schaue mich im Flur um, sehe das Chaos, das ich
angerichtet habe, und bin zufrieden. Ich greife nach der Hacke, hebe sie
von Fußboden auf und stelle sie an die Hauswand neben den Spaten. Ich
lasse die Haustür auf und stelle mich unter das Vordach. Die Straße
ist menschenleer und kein neugieriger Nachbar liegt im Fenster. Ich
schlendere betont langsam zu meinem Moped zurück, das ich zwei
Seitenstraßen weiter abgestellt habe. Die Plastiktüte schlägt an
meinen Oberschenkel, das Besteck klappert. Als ich das Moped starte,
fallen die ersten Regentropfen. Viertel nach zwei. Ich muss mich nicht
beeilen. Gut, dass ich die Blumen schon heute Morgen gekauft habe.
Zu
Hause werde ich mir im Radio die Spiele vom DFB-Pokal anhören. Erste
Hauptrunde. Dabei werde ich den Vergaser auseinanderschrauben und
gründlich sauber machen. Es wird ein entspannter Nachmittag werden.
Waldhof hat gestern Abend vier zu eins gegen Duisburg gewonnen. Gut,
gegen einen Amateur-Verein ist der Sieg eines Bundesligisten Pflicht,
aber egal, Sieg ist Sieg. Wie viele Spitzenmannschaften haben sich schon
gegen Amateurvereine blamiert bis auf die Knochen? Und dann sind da ja
noch die Todfeinde. Haben mit Leverkusen ein schweres Los gezogen. Wenn
die einen auf die Kappe bekämen, das wäre ein Grund zum Feiern. Morgen
werde ich Vater besuchen. Das bin ich ihm schuldig.
2
»Sweet
dreams are made of this ...«
Er
nahm eine Bewegung wahr. Erst wollte er sie ignorieren. Dann schaute er
doch hoch, sah die junge Frau, die vor ihm gestikulierte, mit ihren
Zeigefingern auf ihre Ohren deutete und das Gesicht verzog. Leo Lauer
drückte die Pausentaste seines Sony-Walkmans, Annie Lennox konnte das
»I« der Textzeile »who am I« nicht mehr loswerden. Lauer zog die
Stöpsel aus seinen Ohren und schaltete den Staubsauger aus.
»Was
gibt es, Astrid?«, fragte er betont ruhig und mit einem
verständnisvollen Unterton. Seine Freundin holte Luft. Sie schien
sauer.
»Seit
Minuten rede ich mit dir, bis ich merke, dass du mir nicht zuhörst,
dass du die Kopfhörer aufhast.«
»Astrid,
du weißt, wie ich staubsaugen hasse. Mit den Eurythmics im Ohr ist es
gerade noch zu ertragen.«
»Dazu
fällt mir nichts ein.«
Lauer
machte einen Schritt auf seine Freundin zu und streckte die Arme aus.
»Jetzt
komm schon.«
Sie
hob zuerst abwehrend die Hände, ließ sie dann sinken und legte ihren
Kopf an seine Schulter.
»Tut
mir leid. Was wolltest du mir sagen? Dass du mich liebst? Dass du ohne
mich nicht leben kannst?«
(Copyright: Leinpfad Verlag, Ingelheim)
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